Die Welt der Versuchungen
RC Erfurt-Gloriosa: Rotarierin Susanne Rockweiler baut ein bundesweit einmaliges Suchtpräventionsprojekt auf
Die zweite von mehreren aufeinanderfolgenden Ausstellungen hat das Thema Social Media. Wir blicken mit Wissenschaft und Kunst auf das Smartphone-Zeitalter – auf unsere täglichen Begleiter und die Sozialen Netzwerke. Und wie sie uns mental und körperlich fordern und unsere Welt verändern - als Individuum, als Familie und als Gesellschaft. In einer Installation sind zum Beispiel Wohnräume zu sehen, die nur noch von leuchtenden, digitalen Endgeräten beherrscht sind. Der Mensch fehlt. Wir empfinden es gesellschaftlich als normal, dass Menschen, die zu uns nach Hause kommen, oder im Restaurant sitzen, oder an Bushaltestellen warten, sich nicht den Mitmenschen zuwenden, sondern ihr Handy bevorzugen. Wir zeigen, wie unsere digitale Nutzeridentität entsteht, die Basis ist für KI und Algorithmus anhand von großen Paneelen. Zu sehen ist zuerst dein Spiegelbild, dann siehst du dich als 3-D-Scan und schließlich, wie du täglich datentechnisch erfasst wirst: zuerst deine grobe Nutzeridentität, mit Größe, Haarfarbe, Bart, Brille und anderen spezifischen Merkmalen, das Alter wird berechnet. Dieser holzschnittartige, digitale Fußabdruck wird immer detaillierter, wenn Du auf den digitalen Plattformen unterwegs bist.
Wer sind Deine Gäste?
Uns besuchen Menschen wie du und ich, viele mit Kindern. Etliche bemerken, dass ihr Konsum der „Sozialen" Medien suboptimal ist. Unsere Gäste sind auch viele Schülerinnen und Schüler, die als sogenannte „Generation Z“ digital aufgewachsen sind, aber feststellen, dass Smartphone und TikTok oder Instagram unglaublich viel Zeit verschlucken. Vor kurzem habe ich den Rotary Club Erfurt Gloriosa durch die Ausstellung geführt. Wir sind dabei sehr angeregt über unser Suchtpotential und verschiedene Wirkmechanismen ins Gespräch gekommen. Rauchen irritiert uns mittlerweile, hingegen ist die Social Medien-Nutzung bereits gesellschaftlich normalisiert. Jeder und jede ist in seiner eigenen Welt - sind wir dabei gemeinsam einsam?
Die derzeitige Ausstellung in der Erfurter Lachsgasse ist nur ein Vorgeschmack auf ein Großprojekt - welches?
Geplant ist ein ganzes Ausstellungshaus, ein „Haus Welt der Versuchungen“, ein nachhaltig gebautes, neues Gebäude. Derzeit läuft der Architekturwettbewerb. Wir erarbeiten schrittweise mit einem wissenschaftlichen Beirat und auf der Grundlage aktueller Forschungsergebnisse ein auf Wissenschaft und Kunst setzendes, Evidenz basiertes Konzept. Die Eröffnung soll im ersten Halbjahr 2027 sein. Bau und Einrichtung werden dankenswerterweise mit 20 Millionen Euro von Deutschen Bundestag gefördert. Unterstützt werden wir zudem durch das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit Frauen und Familie. Träger und Initiatorin ist die Stiftung „Welt der Versuchungen“.
Du bringst Erfahrung mit. Was hat Dich gereizt an diesem Projekt?
Meine wichtigsten Stationen davor waren, jeweils als stellvertretende Direktorion, der Martin-Gropius-Bau in Berlin und das Haus der Kunst in München. Für mich ist das neue Projekt ein Glücksfall. Nicht nur, dass eigene Ideen gefordert sind, sondern auch ein deutschland- und europaweit völlig neuer Ansatz zu Grunde liegt, in einem eigens dafür zu schaffenden Haus, Suchtprävention auch auf solche Art zu ergänzen und inmitten der Gesellschaft zu platzieren. Wir sind sehr dankbar für jede Unterstützung zum Beispiel für eine Raumpatenschaft um aufzuzeigen, was in Körper und Gehirn los ist, wenn ich von etwas nicht lassen kann.
Matthias Gehler, geb. 1954, ist Theologe und Journalist. Er war nach den Wendetagen 1989 Regierungssprecher im Kabinett der letzten DDR-Regierung. Seit 1992 arbeitete er als Programmchef und Chefredakteur des MDR in Thüringen. Er übernahm jahrelang Lehraufträge, zum Beispiel an der Universität Erfurt und tritt zudem als Liedermacher auf. 2018 wurde er Rotarier im RC Arnstadt und übernahm im Dezember 2020 die Aufgabe des Distriktberichterstatters für D1950.
Bild/Text: Das Interview führte Matthias Gehler
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